Hartmut Burmester

„Der Artlenburger Deichverband muss sich mit allen Konsequenzen darauf einstellen, dass beim Elbhochwasser das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist“, sagt Hartmut Burmester, der seit 2009 als Deichhauptmann dem Verband vorsteht. Der Landwirt aus Barförde ist überzeugt, dass die Verteidigung der Deiche die Menschen an der Elbe öfter und stärker beanspruchen wird als in der Vergangenheit. Als Verbandsvorsteher fühlt er sich verantwortlich für die Sicherheit. Deshalb muss der ADV mit seiner täglichen Arbeit dafür sorgen, dass die Deiche jederzeit ihre Kernaufgabe erfüllen können, die Menschen an der Elbe vor Hochwasser zu schützen.

Hartmut Burmester steht seit 2009 an der Spitze des Artlenburger Deichverbandes. Die Deputiertenversammlung wählte den den Barförder 2014 für weitere fünf Jahre zum Verbandsvorsteher und Deichhauptmann. „Eigentlich wollte ich nie der große Deichschützer werden. Ich bin im Laufe der Jahre dann aber doch in die Rolle hineingewachsen“, sagt der 57 Jahre alte Landwirt. Und so begann die Karriere im Deichverband auch recht unspektakulär mit einem Ferienjob. „Als Schüler mit 15 Jahren mähte ich das Gras auf den Deichen zwischen Bleckede und Stove. Für die Arbeit gab es einen Stundenlohn irgendwo zwischen zwei Mark fünfzig und fünf Mark“, erzählt Hartmut Burmester. „Das war mein erstes selbst verdientes Geld.“

Zu verdanken hatte er den Ferienjob dem damaligen Deichhauptmann Otto Hübner. „Er setzte gerne Jungs aus den Dörfern aus der Elbmarsch für kleinere Arbeiten des Deichverbandes ein“, erzählt Hartmut Burmester schmunzelnd. Über diese Schiene kam er dann auch zu seinem ersten Einsatz am Deich bei Hochwasser. Während der Sturmflut 1976, Hartmut Burmester hatte gerade seinen Traktor-Führerschein in der Tasche, transportierte er mit Trecker und Anhänger Sandsäcke und Faschinen von Barförde an den Deich nach Drennhausen. Faschinen sind zu Bündeln zusammengebundene Tannenzweige, die zum Sichern der Deichböschung bei Hochwasser eingesetzt werden. „Das war mein erster Kontakt mit dem Deichverband, der über das Rasenmähen hinausging.“

Seit Generationen bewohnt und bewirtschaftet die Familie Burmester ihren Bauernhof direkt hinterm Elbdeich in Barförde. „Mein Vater war im Vorstand des Deichverbandes. Hochwasserschutz spielte immer eine Rolle bei uns, allerdings eine untergeordnete, weil wir die Elbe nie als Bedrohung wahrgenommen haben.“ Der Deich gehörte zum täglichen Dorfleben. Der Damm war die Hauptstraße im Ort. „Auf ihm gingen wir zur Schule, er war der Verbindungsweg zu den Nachbardörfern und über ihn wurde die Milch mit Treckergespannen von den Bauernhöfen abgeholt, von denen jeder eine Abfahrt auf den Deich hatte“, erzählt Hartmut Burmester. 

„Mir ist es immer noch ein Rätsel, wie die Deichsicherheit unter diesen Umständen funktionieren konnte“, sagt er ungläubig mit einem leichten Kopfschütteln. Als Kind habe er den Deich noch nicht als einen Schutzwall vor der Naturgewalt des Flusses gesehen. Vielmehr habe die Elbe auf die Jungen und Mädchen im Ort eine magische Anziehungskraft gehabt. „Der Fluss war für uns eine Tabuzone. Unsere Eltern hatten uns Kindern verboten, am Wasser zu spielen, weil wir nicht schwimmen konnten. Wir haben trotzdem am Ufer gespielt...“ Auch seien sie später Boot auf der Elbe gefahren, ohne dass die Eltern es wussten.

Mit den Augen eines Heranwachsenden stellte sich das Leben am Strom dann doch etwas anders dar. „Mit 16 Jahren war mir klar, dass wir ohne Deich keine trockenen Füße hätten, weil wir unter dem Meeresspiegel leben. Dass die Situation gefährlich werden kann, wusste ich zwar auch, doch so wirklich bewusst war es mir nicht.“ Das habe sich sich schlagartig beim Hochwasser 1974 geändert, als in Barförde fast der alte Deich versagt hätte, der dann drei Jahre später durch einen Neubau ersetzt wurde. Es habe eine Qualmstelle gegeben, die mit 1000 Kubikmeter Sand gesichert wurde. „Das war knapp und wäre beinahe schief gegangen“, erinnert sich Hartmut Burmester. Diese brenzlige Lage war für ihn das Schlüsselerlebnis. „Seit dem Zeitpunkt sehe ich die Gefahr, die bei Hochwasser von der Elbe ausgehen kann, mit anderen Augen.“ 

Doch eine Karriere beim Artlenburger Deichverband war deshalb jedoch – noch – nicht in Sicht.„Die war nicht mein Plan.“ Vielmehr habe Deichhauptmann Otto Hübner an dieser gefeilt. „Bei Wahlen zum Vorstand in den 1980er-Jahren wurde ich ohne Kenntnis und ohne gefragt zu werden in den Vorstand gewählt.“ Danach habe sich vieles nach und nach zusammengefügt auf dem weiteren Weg an die Spitze des Verbandes. „Es gab aber kein Aha-Erlebnis.“

Hartmut Burmester war seit 1981 stellvertretender und ab 1988 Ortsbrandmeister in Barförde. In diesen Funktionen kreuzten sich die Wege mit dem Deichverband ständig – und zwar immer, wenn die Dämme bei Hochwasser verteidigt werden mussten. Die Arbeitsweise des Deichverbandes wurde ihm vertraut. „Über die Tätigkeit bei der Feuerwehr und als Deichwache bei dem schweren Hochwasser 1988 wurde mir klar, dass Hochwasserschutz nur mit einem guten System funktionieren kann. Unabhängig davon, dass wir damals schon neue und moderne Deiche hatten.“ 

Hartmut Burmester erhöhte fortan sein Engagement im Deichverband. „Ich machte meine Arbeit im Vorstand solange bis der nächste Job 2007 kam. Deichhauptmann Johann Freese hatte mich zu seinem Stellvertreter auserkoren. Ich sollte später seine Nachfolge antreten.“ So kam es dann 2009. Doch zuvor musste Hartmut Burmester in die neue Aufgabe an der Verbandsspitze hineinwachsen. „Ich war Vertreter des Artlenburger Deichverbandes im Streit um den Nationalpark, der an der Elbe in Niedersachsen gegründet werden sollte.“ 

Der Nationalpark Elbtalaue zwischen Schnackenburg im Landkreis Lüchow-Dannenberg und Radegast im Landkreis Lüneburg existierte nur knapp ein Jahr. Er wurde 1998 eingerichtet, jedoch bereits 1999 wieder aufgelöst, nachdem das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Nationalparkverordnung für nichtig erklärt hatte. Diesem Urteil folgte das Bundesverwaltungsgericht endgültig mit einem Beschluss am 10. September 1999. Angerufen wurde es von einem Mitglied des Vereins zum Schutz der Kulturlandschaft und des Eigentums im Elbtal. Das ehemalige Nationalpark-Gebiet ist jetzt als Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue in das 375 000 Hektar große Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe eingebettet, das 1997 von der UNESCO anerkannt wurde.

„Bei den Diskussionen um den Nationalpark kam ich das erste Mal mit der großen Politik in Berührung, unter anderem mit dem damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, der den Nationalpark mit aller Macht und ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen wollte.“ Hartmut Burmester hatte nach eigenem Bekunden damals schnell erkannt, mit welchen harten Bandagen in der Politik gekämpft wird. „Die Politiker ziehen durch, was sie sich vorgenommen haben.“ 

Das habe ihm Respekt abgenötigt. „Aber eingeschüchtert hat mich ein solches Verhalten bis heute nicht. Ich habe keine Angst vor Politikern.“ Vielmehr sagt er, man müsse als Verbandsvorsteher abgeklärt sein, wenn man die Interessen des Deichverbandes im politischen Geschäft durchsetzen und damit die Sicherheit der Menschen, die hinter den Deichen leben, gewährleisten will. 

„Alles andere interessiert mich nicht, weil die Elbe unsere Existenzen zerstören kann.“ Die Folgeschäden wären katastrophal, sollte die Region bei Hochwasser absaufen, weil die Deiche versagen. „Dann wäre kein Wohnen und keine Landwirtschaft von der Elbe bis weit ins Hinterland mehr möglich, weil das Land kontaminiert wäre.“ Die Elbe bringe bei Hochwasser eine gefährliche Fracht mit. „Eine Drecksbrühe aus Fäkalien, Tierkadavern und Industrieabfällen.“

Vor dem Hintergrund dieser Gefahrenlage dürften ideologische Interessen und persönliche Empfindlichkeiten keine Rolle spielen, wenn es in der Politik um Entscheidungen zum Hochwasserschutz an der Elbe geht, sagt er. „Klar, dass man als Deichhauptmann auch aneckt. Aber das ist mir egal. Als Verbandsvorsteher fühle ich mich ein Stück weit verantwortlich für die Sicherheit der Menschen hinter den Deichen. Nur darum geht es!“

Und diese Aufgabe werde nicht leichter. „Der Artlenburger Deichverband muss sich mit allen Konsequenzen darauf einstellen, dass beim Elbhochwasser das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist.“ Die Verteidigung der Deiche werde die Menschen an der Elbe öfter und stärker beanspruchen als noch vor einigen Jahren. Und die Instandsetzung der Deiche beziehungsweise sie auf den Stand der Technik zu bringen, werde viel Arbeit und Verhandlungsgeschick erfordern. 

Es gehe darum, die Situation an der Elbe nicht nur während des Katastrophenfalls klar zu analysieren und blinden Aktionismus zu vermeiden. „Viele Menschen in der Region sind seit den Jahrhundertfluten, gegen die wir seit 2002 zu kämpfen hatten, sensibilisiert. Bei der Bevölkerung findet der Hochwasserschutz eine hohe Akzeptanz, auch weil der Wasserstand ständig steigt.“ 

Dennoch müsse der Deichverband den Leuten vor Augen führen, dass Deiche mehr sind als schöne grüne Wall-Landschaften an der Elbe, in denen es sich in der Freizeit herrlich spazieren gehen lässt. 
„Wir müssen aufzeigen, dass die Kernaufgabe der Deiche der Schutz vor Hochwasser ist – und das nicht nur im Katastrophenfall, wenn das Wasser hoch bis an die Krone steht.“ Leider hätten das einige noch nicht verstanden. „Aber ich glaube, viele lernen dazu. Immer öfter werden wir an den Deichen auch von Menschen angesprochen, die nicht an der Elbe wohnen, und die sich trotzdem für Deiche und Hochwasserschutz interessieren. Das stimmt mich hoffnungsfroh.“

Hartmut Burmester wünscht sich für die Zukunft, dass Hochwasser- und Naturschutz besser als bisher unter einen Hut gebracht werden als bisher.